Kennt ihr das? Ihr zeichnet eine wunderschöne Unterstützungslinie im Chart ein. Der Kurs kommt runter, berührt die Linie perfekt. Ihr geht Long, setzt den Stop-Loss knapp darunter.
Und dann?
Zack. Der Kurs dippt kurz unter eure Linie, holt euch den Stop-Loss, und schießt dann wie eine Rakete nach oben. Ohne euch.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft mir das am Anfang passiert ist. Ich saß vor dem Bildschirm und dachte: „Der Markt hasst mich. Die sehen meinen Stop!“.
Aber die Wahrheit ist: Ja, sie sehen ihn. Oder besser gesagt: Sie wissen, wo er liegt.
„Sie“ sind die großen Jungs. Banken, Hedgefonds, Institutionen. Das sogenannte Smart Money.
Heute zeige ich euch, wie ich aufgehört habe, „Retail-Trader-Futter“ zu sein und angefangen habe, mit den Banken zu schwimmen, statt gegen sie. Willkommen in der Welt von Supply & Demand (Angebot und Nachfrage).
Warum deine Trendlinien oft Bullshit sind
Lass uns mal logisch denken. Wenn JP Morgan oder die Deutsche Bank 500 Millionen Euro in EUR/USD tauschen wollen, können die nicht einfach auf „Kaufen“ klicken. Wenn sie das täten, würde der Kurs sofort explodieren und sie bekämen einen miserablen Einstiegspreis (Slippage).
Sie brauchen einen Gegenspieler. Sie brauchen jemanden, der VERKAUFT, damit sie KAUFEN können.
Und wo finden sie viele Verkäufer?
Genau da, wo wir kleinen Retail-Trader unsere Stop-Losses für Long-Positionen haben. Unter den offensichtlichen Supports.
Das war für mich der größte „Aha-Moment“ meiner Trading-Karriere.
Wenn der Kurs unter eine Unterstützung bricht, verkaufen alle Panikartig (Stop-Losses lösen aus) und Breakout-Trader gehen Short. Es entsteht massive Verkaufs-Liquidität.
Das ist das Buffet für die Banken. Sie kaufen all diese Verkaufsorders auf. Und sobald sie ihre Positionen voll haben, dreht der Markt.
Was sind Supply & Demand Zonen?
Anstatt dünne Linien zu malen, konzentriere ich mich heute nur noch auf Zonen.
Eine Supply-Zone (Angebot) ist ein Bereich, wo offensichtlich massiv verkauft wurde. Eine Demand-Zone (Nachfrage) ist ein Bereich, wo massiv gekauft wurde.
Aber wie erkennt man die? Es reicht nicht, einfach zu schauen, wo der Kurs mal gedreht hat.
Ich achte auf drei Dinge, und das müsst ihr euch echt hinter die Ohren schreiben:
- Explosive Bewegung: Der Kurs darf nicht langsam aus der Zone kriechen. Er muss rausschießen. Das zeigt mir: Hier lag so viel Geld, dass der Markt gar keine andere Wahl hatte.
- Imbalance (Ungleichgewicht): Wenn der Kurs so schnell steigt, dass er „Lücken“ im Chart hinterlässt (große grüne Kerzen ohne Dochte zur Gegenseite), nennt man das Imbalance oder FVG (Fair Value Gap). Das ist wie ein Magnet. Der Markt will da oft zurück.
- Bruch der Struktur (BOS): Die Bewegung muss ein vorheriges Hoch (bei Demand) oder Tief (bei Supply) rausnehmen. Das beweist, dass die Zone Kraft hatte.
Tutorial: So zeichne ich eine Zone ein (Schritt für Schritt)
Okay, genug Theorie. Wie mache ich das morgens im Chart? Nehmen wir mal an, wir suchen einen Long-Einstieg (Demand).
Schritt 1: Der „Move“
Ich scrolle im Chart (meistens H1 oder H4, für Intraday auch M15) zurück und suche die letzte Bewegung, die ein wichtiges Hoch gebrochen hat. Wo hat diese Bewegung ihren Ursprung?
Schritt 2: Die letzte Kerze
Ich suche die letzte rote Kerze VOR der explosiven grünen Bewegung.
Warum die rote? Weil hier die Banken zum letzten Mal verkauft haben, um den Preis zu drücken und Liquidität einzusammeln (Stops der anderen triggern), bevor sie den Markt hochgekauft haben.
Schritt 3: Das Rechteck
Ich ziehe ein Rechteck vom Hoch bis zum Tief dieser roten Kerze. Das ist meine Demand-Zone.
Schritt 4: Geduld (Das Schwierigste)
Jetzt heißt es warten. Der Kurs ist vielleicht schon weit weg. Aber Banken lassen oft „Orders liegen“. Wenn der Kurs irgendwann – vielleicht erst Tage später – in diese Zone zurückkommt, bin ich hellwach. Ich kaufe nicht blind (Limit Order), sondern warte in der Zone auf eine Reaktion auf kleineren Zeiteinheiten (z.B. 5-Minuten Chart).
Ein Praxisbeispiel aus meinem Trading-Journal
Letzte Woche im Gold (XAUUSD).
Der Goldpreis war tagelang im Aufwärtstrend. Alle wollten kaufen. Plötzlich gab es einen scharfen Abverkauf am Morgen. Alle schrien „Trendwechsel!“.
Aber ich sah mir den 4-Stunden-Chart an. Der Abverkauf landete genau in einer alten Demand-Zone von vor drei Tagen.
Dort gab es damals eine riesige Imbalance.
Was habe ich gemacht? Ich habe gewartet, bis der Preis die Zone berührt hat. Im 5-Minuten-Chart bildete sich dann ein kleiner „Strukturbruch“ nach oben (Change of Character). Ich bin Long gegangen. Mein Stop? Ganz eng unter der Zone. Mein Ziel? Das alte Hoch.
Das Ergebnis: Ein Risk-Reward-Verhältnis von 1:8. Ich habe 1% riskiert und 8% gewonnen.
Hätte ich Support & Resistance gehandelt, wäre ich mittendrin ausgestoppt worden, weil der Kurs wild hin und her gewickelt ist, bevor er startete.
Die Gefahren: Nicht jede Zone hält!
Ich muss hier mal kurz den Spielverderber spielen, damit ihr nicht gleich euer ganzes Konto riskiert. Nicht jede Zone funktioniert.Wenn der Markt in einem starken Abwärtstrend ist, wird er viele Demand-Zonen einfach durchbrechen wie Butter. Deswegen ist der Kontext König.
Ich handle Demand-Zonen nur, wenn der übergeordnete Trend auch Long ist. „The Trend is your friend“ gilt immer noch, nur die Einstiege sind anders.
Außerdem: Achtet auf „News“. Wenn Jerome Powell spricht, ist ihm deine kleine 15-Minuten-Supply-Zone völlig egal. Da rauscht der Markt einfach durch. Checkt also immer den Kalender.
Ändere deine Sichtweise!
Seit ich Supply & Demand nutze, ist mein Chart viel sauberer. Keine 20 Indikatoren, keine Fibonacci-Wolken. Nur Preis, Struktur und Zonen.
Es erfordert Übung, das Auge dafür zu schulen. Am Anfang sieht man Zonen überall.
Mein Tipp: Geht in den Chart (TradingView ist super dafür) und macht „Backtesting“. Schaut euch vergangene Bewegungen an und sucht die Zonen, die diese ausgelöst haben. Ihr werdet erstaunt sein, wie präzise der Markt oft reagiert.
Probiert es mal aus und schreibt mir gerne in die Kommentare, ob ihr damit besser fahrt als mit den klassischen Trendlinien. Aber denkt dran: Auch das ist kein Heiliger Gral. Risikomanagement bleibt das Wichtigste!
Bis zum nächsten Mal, euer Alex